Leben im Krisenmodus

Klimawandel, Corona oder der Krieg gegen die Ukraine: In den letzten Jahren haben sich die Krisen überlagert und sind zu einem Dauerzustand geworden. Welche Folgen hat das für unser gesellschaftliches Zusammenleben und die Demokratie?

von Bernd Schlipphak und Mitja Back

Krisen, insbesondere mehrere zur gleichen Zeit, setzen Menschen unter Stress. Zwar sind Menschen – in unterschiedlichem Ausmaß – in der Lage, mit Stress umzugehen, aber das dauerhafte Anhalten eines erhöhten Stressniveaus kann dazu führen, dass sich unsere Sicht auf das gesellschaftliche Zusammenleben und politisches Handeln verändert. Dabei spielt zunehmendes Misstrauen gegenüber anderen eine zentrale Rolle. Vertrauen in die Mitmenschen – in den Sozialwissenschaften nennen wir es das »generalisierte Vertrauen« – ist jedoch eine der Grundbedingungen des gesellschaftlichen Miteinanders, weil es zum Beispiel ermöglicht, dass man Dinge für andere tut in dem Vertrauen, dass andere dies auch für einen selbst tun würden. Schwindet dieses Vertrauen, ist man zusehends weniger motiviert, sich für andere zu engagieren.

Ähnliches gilt für das Vertrauen in politische Akteure, das aus Sicht der Politikwissenschaft ein wichtiges Indiz für deren Legitimität ist. Sinkt das Vertrauen der Bevölkerung in die Personen, die sie politisch repräsentieren, wird dies auf Dauer auch Einfluss auf die »Folgebereitschaft« haben, das heißt auf die Akzeptanz von Gesetzen und Regelungen, die von diesen Akteuren beschlossen werden. Ohne diese grundlegende Akzeptanz kann jedoch eine Demokratie nicht funktionieren.

Hinzu kommt, dass Krisen oppositionellen und extremistischen Akteuren Gelegenheit bieten können, das Vertrauen in die Regierung und die moderate Opposition durch gezielte Falschinformationen zu erschüttern. Das gilt in zunehmendem Maße dann, wenn Krisen sich überlagern. So nutzen beispielsweise extremistische Akteure die Krisen, indem sie diese in übergreifenden Verschwörungstheorien wie der Idee vom »Great Reset« als Ereignisse darstellen, hinter denen angeblich ein großer Plan steht, um der Bevölkerung zu schaden. Der Glaube an solche Verschwörungstheorien kann wiederum zu einem wachsenden Misstrauen gegenüber politischen Akteuren führen, wie Ergebnisse unserer Projekte am Excellenzcluster »Religion und Politik« an der Universität Münster nahelegen.

Dennoch bergen Krisen auch das Potenzial für positive Entwicklungen, etwa dann, wenn ihre Bewältigung zu einer Verbesserung der Zustände führt. So kann beispielsweise die Auseinandersetzung mit und die Lösung der Energiekrise einen ungemein positiven Einfluss auf die nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft und damit die Anpassung und Bekämpfung des Klimawandels haben. Gleichermaßen ist zu hoffen, dass auch die durch die Coronavirus-Pandemie deutlich gewordenen Schwachstellen des Gesundheitssystems und des fehlenden Einbezugs wissenschaftlicher Erkenntnisse in das politische Handeln zukünftig in Verbesserungen resultieren.

Dazu braucht es aber aufseiten der Politik eine ehrliche Kommunikation, in der die Herausforderungen einer Krise ebenso wie deren Lösungsmöglichkeiten gegenüber der Gesellschaft (und auch Wirtschaft) klar benannt werden mit der Bereitschaft, eigene Fehler explizit einzugestehen. Denn auf diese Weise wird nicht nur der Spielraum für Verschwörungstheorien stark eingeschränkt, sondern auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik gestärkt oder wieder aufgebaut

Bernd Schlipphak ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Münster. In seiner Forschung arbeitet er zu Bevölkerungseinstellungen gegenüber Demokratie, Globalisierung und Nachhaltigkeit.

Mitja Back ist Professor für Psychologische Diagnostik und Persönlichkeitspsychologie an der Universität Münster. Seine Forschung konzentriert sich auf die Entwicklung und Konsequenzen von Persönlichkeit.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Bundeszentrale für politische Bildung.
Erstveröffentlichung: bpb:magazin 2/2022
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You’ll never walk alone
Auf der Suche nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt

Corona-Pandemie, Superreiche und Arme, Klimakatastrophe und Ukraine-Krieg: Die demokratischen Gesellschaften stehen unter Stress. Wie lassen sich neue soziale Bindungen stiften? Autor Jochen Rack macht sich auf die Suche nach Antworten. (Zur Sendung)

Eine Sendung des Nachtstudios des Bayerischen Rundfunks (BR2) im Rahmen der ARD-Themenwoche „Wir gesucht – Was hält uns zusammen?“ vom 8. November, 20.05 -21.00 Uhr