Beleidigungen, Drohungen, Hass-Äußerungen, Verschwörungsmythen – nirgendwo verbreiten sie sich schneller und ansteckender als im Internet. Zu den üblichen Verschwörungsmythen zählt weltweit auch der Antisemitismus. Nach dem Hamas-Angriff auf israelische Bürger am 7. Oktober vergangenen Jahres ist die Anzahl antisemitischer Kommentare allein bei YouTube immens angestiegen – ermittelt wurde eine Zunahme um fünftausend Prozent.
Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hat sich daher der Frage gewidmet, wie es sein kann, dass antisemitische Inhalte auf Social Media derart Verbreitung finden. Algorithmen, die das Nutzerverhalten erfassen und unverzüglich themengleiche Angebote machen, sind mitverantwortlich. Auch sei zu beobachten, dass sich in dem häufigen Teilen immergleicher Inhalte offenbar ein Bedürfnis nach sozialer Verbundenheit zeige.
Antisemitische Verschwörungen seien auf allen Plattformen anzutreffen, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Als besonders gefährlich habe sich in jüngster Zeit TikTok durch seine schnellen emotionalisierenden Videos mit großer Reichweite erwiesen. Die Bundeszentrale für politische Bildung plädiert daher für eine stärkere Förderung von digitaler Medienkompetenz nicht nur in Schulen.
Auch das Portal der Kinder- und Jugendhilfe berichtet mit Bezug auf eine gemeinsame Untersuchung der Amadeu Antonio Stiftung mit der britischen Organisation Hope not Hate und der schwedischen Expo-Stiftung, dass vor allem junge Menschen über Soziale Medien überhaupt erst in Kontakt zur Verschwörungsideologien und Antisemitismus kommen. Besonders häufig – doch längst nicht auschließlich – finden sich zu Gewalt aufrufende Inhalte, so die englischsprachige Studie, auf Plattformen der extremen Rechten.
Wer nutzt wann was?
94 Prozent der 16- bis 29-Jährigen nutzen das Internet als Informationsquelle. Bei den über 65-Jährigen sind es 81 Prozent. Die repräsentative Studie „Bitkom Research 2024“ hat zudem Unterschiede zwischen den Altersgruppen bei der Nutzung von Sozialen Medien festgestellt.
Bei den unter 30-Jährigen dominiert mit 90 Prozent Instagramm, gefolgt von WhatsApp mit 50 Prozent, TikTok mit 44 Prozent, Facebook (39 %), X (27 %), Snapchat (22 %), Telegram (18 %) sowie Linkedin und Twitch (16 %). Im Schnitt schauen sich die Deutschen 48 Minuten am Tag Online-Nachrichten an. Allerdings: Über die Hälfte der für die Studie Befragten liest häufig nur die Überschrift.
Dass Jugendliche aber keineswegs nur Opfer von Verschwörungsideologien und Fake News in den Sozialen Medien sind, haben die beiden Schüler Simon Rulle und Arthur Achilles aus Paderborn bewiesen. Mit ihrem Beitrag für „Jugend forscht“ sind sie 2023 mit dem Bundespreis Mathematik/Informatik ausgezeichnet worden. Die beiden damals 16- und 17-Jährigen haben eine Software entwickelt, die in Echtzeit antisemitische Verschwörungsmythen im Netz analysiert.
Zudem kann sie mit Hilfe von KI Personen ausfindig machen, die sich über solche Netzeinträge radikalisieren. Die Idee dazu kam ihnen beim Besuch einer Synagoge, die unter Polizeischutz stand. „Bestürzt“ seien sie gewesen von dem „Armutszeugnis“, dass so lange nach dem Holocaust Juden immer noch besonderen Schutz brauchten.
Gerade weil sie selbst von Diskriminierung nicht direkt betroffen seien, so die Preisträger in einem Interview, „sehen wir es umso mehr als unsere Aufgabe an, dass wir als starke Zivilgesellschaft unseren Beitrag zum Schutz der so wertvollen Vielfalt leisten“. In dem Gespräch erläutern sie auch, wie die Software vorgeht.
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